ego laboro, ergo sum?

7. Dezember 2011

Lehre, Sprachpunkt, Weiterführendes

Wohl kaum, würde Gero Hesse darauf antworten.[1] Denn er sieht einen „gravierende[n] Wertewandel“[2] im Gange, wenn etwa bei der Deutschen Bahn darüber nachgedacht wird, Führungskräften eine bezahlte Auszeit von einem halben Jahr zu gewähren. Auch wenn es sein mag, dass Hesse damit etwas überzieht,[3] so können die von ihm vor diesem Hintergrund formulierten Thesen zum „Wertewandel im Kontext von Mitarbeitergewinnung und -bindung“ zielführend sein für die kommunikative Neuausrichtung von Unternehmenskulturen. Und man möchte als konkreten Anwendungsfall ergänzen: und damit auch für ihre Karriereauftritte im Internet.

Im Seminar „Unternehmenskommunikation: Wie umwirbt man Studierende?“ wurden auf der Basis der Studie KIMATEK am Beispiel unterschiedlicher Unternehmensauftritte (bisher: Thyssen Krupp, Amazon und Ferrero) in der sprachlichen Analyse auch die Probleme (keine partnerschaftliche Ausrichtung, strenge hierarchische Orientierung, fehlende Anreize für die Verbindung von [Familien-]Leben und Beruf, undurchsichtige Unternehmensphilosophien und -ziele usw. usf.) aufgedeckt, die Hesse thesenartig als Orientierung und zur Diskussion in den Raum stellt. Darüber hinaus — und hier ließe sich der Katalog noch erweitern — wird aus sprachwissenschaftlicher Perspektive ganz zentral sein, wie Unternehmen ihre Unternehmenskultur mit dem Ziel der Gewinnung  neuer Mitarbeiter kommunizieren:

    6. Eine partnerschaftlich ausgerichtete Unternehmenskultur ist zu erkennen an partnerschaftlicher Kommunikationskultur und explizit SPRACH-Kultur

    a) mit und unter den Mitarbeitern des Unternehmens und

    b) gegenüber z.B. Schülern, Praktikanten, Studierenden, Absolventen usw., die man hofft, als Mitarbeiter für das Unternehmen zu gewinnen.

Zur argumentativen Unterstützung für die Ergänzung des Thesenkatalogs möchte ich kurz und keineswegs erschöpfend zwei kleine Beispiele aus der letzten Sitzung des Seminars diskutieren. Wenn Kraft Food Deutschland etwa auf seiner Karrierewebseite mögliche Berufseinsteiger anspricht, dann liest sich das so:

    „Innovatives Denken verdient Publikum. Wenn unsere Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen neue und spannende Snacking-Ideen in Europa entwickeln, dann verdient das uns volle Aufmerksamkeit.“[4]

Mein auch. Sprachliche Unachtsamkeiten dieser Art, die auch auf Übersetzungsfehler aus dem Englischen zurückzuführen sein mögen und häufig gesamte Karriereauftritte durchziehen,[5] können von potentiellen Arbeitnehmern negativ aufgenommen werden — vor allem, wenn sie wie hier die direkte Adressierung und Anrede des Gesprächspartners betreffen. Gravierender ist jedoch, dass im obigen Beispiel die Theatermetapher in der Übertragung etwas schief — „Denken“ kann ein Publikum nicht beobachten — und unglücklich ausgebeutet wird: Zwar möchte der Produzent des Textes sicher darauf abheben, dass das Unternehmen hohe Leistungsbereitschaft und innovative Ideen seiner Mitarbeiter zu würdigen weiß, unter der Hand  zieht er aber (hoffentlich unbeabsichtigt) eine strikte Rollentrennung zwischen Arbeitnehmern als Darstellern und dem Unternehmen als (evaluierendem) Publikum ein. Partnerschaftliche Kommunikations- und Unternehmenskultur sieht anders aus und hört sich anders an.

Positiv aufgefallen war hingegen die Frage, die Ferrero stellvertretend (und rhetorisch) Absolventen fragen lässt: „Können kinder meine Karriere voranbringen?“ Fragen bringen grundsätzlich Gespräche in Gang. Dies zu versuchen, ist das zentrale Anliegen partnerschaftlich orientierter Kommunikation und — blickt man weiter — partnerschaftlicher Unternehmenskultur. Und auch wenn auf der Karrierewebsite das Thema nicht im konkreten Sinne eine entscheidende Rolle spielt,[6] so wird durch den Produktnamen „kinder“ ein heute für viele Arbeitnehmer zentrales Thema — nämlich die Vereinbarkeit von Familie und Beruf — aufgerufen und damit zugleich deutlich gemacht, dass das Unternehmen sich der Bedeutung des Themas bewusst ist, in dem es rhetorisch geschickt darauf anspielt.

Ich bin weit davon entfernt zu behaupten, dass Sprache, Sprach- und Kommunikationskultur, mit der das Unternehmen auf seinen Webseiten für sich (bestenfalls) wirbt, für einen Interessenten bei der Wahl eines potentiellen Arbeitgebers allein entscheidend sind. Allerdings sollte man sich angesichts der auch von Hesse aufgerufenen bemerkenswerten Entwicklungen in den nächsten Jahren von Unternehmensseite ernsthaft mit der Frage beschäftigen, ob man diesem Faktor im Sinne des Unternehmens nicht mehr Beachtung schenken möchte und möglicherweise auch muss.

__

[1] Gero Hesse beschäftigt sich seit 1998 mit dem Thema Personalmarketing. Zusammen mit Dominik Bernauer, Steffen Laick & Bernd Schmitz setzte er sich in seiner letzten Publikation einführend mit Social Media im Personalmarketing auseinander. Der Titel versteht sich in weiten Teilen als ein Leitfaden und damit Ratgeber für Kommunikation im Web 2.0 — analytisch ist das Thema „Social Media im Personalmarketing“ aus sprachwissenschaftlicher Sicht allerdings noch Baustelle.

[2] <http://saatkorn.wordpress.com/2011/12/07/5-thesen-zum-thema-wertewandel-im-kontext-von-mitarbeitergewinnung-und-bindung/>. Stand: 07.12.11.

[3] Er stellt sein Drei-Generationen-Modell selbst unter Verdacht, aufgrund von plakativer Zeichnung zu pauschal zu sein. Abgesehen davon müsste man weiter konkret nachfragen, über welches Konzept von ‚Wert‘  man spricht, wenn man davon ausgeht, dass sich ‚diese Werte‘ mit jeder (!) Generation gravierend (!) änderten.

[4] <http://deeu.kraftfoodscompany.com/KFE/Careers/index.aspx>. Stand: 07.12.11.

[5] Vgl. etwa auch die unverhohlene Drohung von Amazon „Lernen Sie uns kennen!“ als Direktübersetzung des stilistisch schmucklosen „meet us“, wie die URL verrät.

[6] Präziser müsste man sagen: Es spielt eine andere Rolle. „Familie“ wird bei Ferrero, einem „Familienunternehmen“, das ursprünglich aus Italien kommt, anders besetzt.

#Sprachpunkt #KIMATEK #Unternehmenskommunikation #Personalmarketing #Ferrero #Amazon #Kraft

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