Eine Zugriffsstatistik ist ein nützliches Werkzeug. Heute stieß jemand auf den „Sprachpunkt“ mittels der im Titel zitierten Suchanfrage: grammatik anders entschieden gehabt. Da ich dem Suchenden nicht direkt antworten kann, möchte ich es via kurzem Artikel indirekt tun. Nicht in der Anfrage realisiert ist wohl die finite Verbform: [habe/hatte] anders entschieden gehabt. Es handelt sich dabei um die so genannten doppelten Perfektformen, die Sick gern als das „Hausfrauenperfekt“ verunglimpft. Nein, da muss ich mich korrigieren.
Sick verunglimpfte es.
Nein, für den einfachen Vergangenheitsbezug wird heute tendenziell nicht mehr Präteritum, sondern Perfekt gebraucht. Deshalb muss ich sagen:
Sick hat es verunglimpft.
Aber was ist, wenn sich die Situation vor fünf Jahren dann noch einmal änderte? Dann sagte ich, nein, ich schreibe ja hier, wohl besser:
Sick hat es verunglimpft gehabt.
Genau das geschah nämlich, bevor Sick das „Hausfrauenperfekt“ dann als epidemisches Ultra-Perfekt verunglimpft hat, welches als „falsche Zeitbildung“ „längst ein gesamtgesellschaftliches [Phänomen] geworden“ war, wie Sick warnend 2004 mit dem logisch doch recht falschen Okkasionalismus „Zeitbildung“ konstatiert und per Google-Abfrage professionell nachwies.
Dieses „Ultra-Perfekt“, welches vor 2004 angeblich nur im Alemannischen und da wiederum nur von schriftunkundigen Hausfrauen gebraucht worden sei, wie uns Sick ganz an den sprachlichen Realitäten vorbei einreden wollte, erfüllt für die meisten Sprachbenutzer nicht erst seit 2004 auch im Schriftsprachlichen offensichtlich essentielle Funktionen, sonst gebrauchten diese die Formen nicht.
Zur ernsthaften Auseinandersetzung mit diesen Phänomenen seien empfohlen:
Michael Rödel. 2007. Doppelte Perfektbildungen und die Organisation von Tempus im Deutschen (Studien zur deutschen Grammatik 74). Tübingen: Stauffenburg.
Hans-Werner Eroms. 2009. Doppelperfekt und Doppelplusquamperfekt. In: Elke Hentschel & Petra Vogel (Hg.). Handbuch Morphologie. Berlin, New York: de Gruyter. 72-92.
Markus Hundt. 2011. Doppelte Perfektkonstruktionen mit haben und sein – Funktionale Gemeinsamkeiten und paradigmatische Unterschiede. In: Deutsche Sprache 39. 1-24.
10. April 2013 um 02:06
Schade, dass Sie Sicks Satire so bierernst nehmen.
10. April 2013 um 09:10
Wo sehen Sie die satirischen Qualitäten von Sick?
10. April 2013 um 11:42
Ich kenne mich in der Terminologie der Humorwissenschaften nicht gut genug aus, um zweifelsfrei sagen zu können, ob es sich eine Satire, eine Parodie oder sonstetwas handelt:
http://de.wikipedia.org/wiki/Parodie#Begriff
Das müssten Sie als Germanist besser wissen. Aber eines lässt sich klar herauslesen: Dass der Gegenstand der Belustigung weder die Hausfrauen noch das Doppelperfekt ist, sondern der Ausdruck (Begriff, Benennung, Terminus…) „Hausfrauenperfekt“.
Auf der sachlichen Ebene hat Sick lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass das Doppelperfekt nach den Regeln der Standardgrammatik („Standard-Warenhäuser“) falsch ist, und an dieser Feststellung ist nichts Abwertendes. Sonst wäre ja auch jede Rechtschreibkorrektur abwertend.
Sicks einziger Fehler besteht darin, dass er in dem Satz „Wie kommt es zu solchen falschen Zeitbildungen?“ vergessen hat einzufügen „solchen NACH DER STANDARDGRAMMATIK falschen“, damit ihn auch niemand falsch verstehen kann.
10. April 2013 um 16:53
„Lange wurde diese Zeitform als ‚Hausfrauen-Perfekt‘ belächelt.“ (http://goo.gl/AfsXV) Und Sick führt zwei (vermeintliche) Hausfrauen beim Einkaufen vor, wie sie im Medium der Mündlichkeit im „Ultra-Perfekt“ vor sich hinschnattern. Dem Internet schiebt er weiter den schwarzen Peter zu, was das ‚Eindringen‘ in die Schriftlichkeit betrifft. Die Kolumne ist nicht parodistisch oder satirisch, sondern polemisch und zwar von der Warte des Sprachkonservativen aus. Ziel sind auch nicht die „Hausfrauen“, sondern alle, die das Doppel-Perfekt nutzen. Diese, die das „Hausfrauen-Perfekt“ nutzen, werden mit diesem Begriff stigmatisiert.
Dabei ist die Bildung des Doppel-Perfekts nicht per se „falsch“, sie hat offenbar eine Berechtigung für Sprecher unserer Sprachgemeinschaft. Wegen der Entstehungszusammenhänge sei ergänzt, dass das Doppel-Perfekt bereits im 17. Jahrhundert in der Schriftsprachlichkeit nicht nur in Texten süddeutscher Provenienz nachgewiesen werden kann. Wäre es nicht spannender herauszuarbeiten, warum das Doppel-Perfekt genutzt wird, anstatt sich vom vermeintlich hohen Ross aus darüber lustig zu machen?
Sick weiß ja auch, was er macht. Er verkauft sehr gut Bücher. Ihm zu unterstellen, dass er persönlich eine Fehde mit denjenigen austrägt, die „falsche“ Zeitformen benutzen, ist Unfug. Er verdient damit sein Brot, auf andere mit dem Finger zu zeigen und zu sagen, ihr macht das „falsch“ — so wie Gabi, die Klaus im Kindergarten damit aufzieht, dass er die Schere „falsch“ hält. Implizit wird dabei immer mitgemeint, dass es andere gibt, zu denen man sich selbst zählt, die es vermeintlich „richtig“ machen.
11. April 2013 um 02:00
“Lange wurde diese Zeitform als ‘Hausfrauen-Perfekt’ belächelt.”
Dieser Satz könnte doch auch von Ihnen kommen. Es kann doch nicht wahr sein, dass Sie sich jetzt so verhalten, als würden Sie hier den Sinn des Passivgebrauchs nicht verstehen, nur weil der Satz aus dem falschen Mund kommt.
„Und Sick führt zwei (vermeintliche) Hausfrauen beim Einkaufen vor, wie sie im Medium der Mündlichkeit im “Ultra-Perfekt” vor sich hinschnattern.“
„Ultra-Perfekt“ soll eine Parodie von „Hausfrauenperfekt“ sein, das haben Sie doch hoffentlich gemerkt?
„Dem Internet schiebt er weiter den schwarzen Peter zu, was das ‘Eindringen’ in die Schriftlichkeit betrifft.“
„Dank des Internets“ ist auf einmal eine Schuldzuweisung? Es gibt zwar tatsächlich Leute, die „dank“ auch im negativen Sinne verwenden, aber es ist ziemlich unwahrscheinlich, dass gerade Sick sich so eine missverständliche Äußerung erlaubt.
„Die Kolumne ist nicht parodistisch oder satirisch, sondern polemisch…“
Wenn Sie wenigstens geschrieben hätten „ist nicht NUR parodistisch oder satirisch, sondern AUCH polemisch“. Aber dass Sie als Germanist (!) schreiben „ist NICHT parodistisch oder satirisch“, ist wirklich indiskutabel. Eine reine Polemik enthält keinen Humor. Wollen SIe jetzt etwa behaupten, dass Sicks Artikel keinen Humor enthält?
Polemik ist oft, was Ihr Kollege Stefanowitsch schreibt (nach Möglichkeit auch gewürzt mit Humor und wissenschaftlich verbrämt mit Linguistik-Tuuls). Vergleichen Sie die ideologische Kampfmaschine Stefanowitsch bitte mal mit dem netten Erkläronkel Sick!
Ich habe jetzt herausgefunden, wie man Sicks Texte „offiziell“ nennt: „journalistische Sprachglosse“.
https://de.wikipedia.org/wiki/Glosse#Journalistische_Glosse
„und zwar von der Warte des Sprachkonservativen aus. Ziel sind auch nicht die “Hausfrauen”, sondern alle, die das Doppel-Perfekt nutzen. Diese, die das “Hausfrauen-Perfekt” nutzen, werden mit diesem Begriff stigmatisiert.“
Andere, die etwas mehr Humor verstehen, würden sagen „durch den Kakao gezogen“. Es gibt nun mal keinen Witz, ohne dass irgendjemand oder irgendetwas lächerlich gemacht wird. Wenn Sie das verhindern wollen, müssen Sie Deutschland zur humorfreien Zone erklären.
„Dabei ist die Bildung des Doppel-Perfekts nicht per se “falsch”, sie hat offenbar eine Berechtigung für Sprecher unserer Sprachgemeinschaft. Wegen der Entstehungszusammenhänge sei ergänzt, dass das Doppel-Perfekt bereits im 17. Jahrhundert in der Schriftsprachlichkeit nicht nur in Texten süddeutscher Provenienz nachgewiesen werden kann. Wäre es nicht spannender herauszuarbeiten, warum das Doppel-Perfekt genutzt wird, anstatt sich vom vermeintlich hohen Ross aus darüber lustig zu machen?“
Hat Sick doch getan: „wir hängen den Wörtern überflüssige Silben an, stellen ihnen verstärkende Ausdrücke voran, nur um sicherzugehen, dass der Kern unserer Botschaft ankommt. Beim Ultra-Perfekt geschieht genau dasselbe: “ Haben Sie das denn überlesen?
„Sick weiß ja auch, was er macht. Er verkauft sehr gut Bücher.“
Offenbar wissen Sie nicht, was Sick macht bzw. gemacht gehabt hat: Er war Lektor bei SPON, eine Aufgabe, die bitter nötig ist, und bei der er die Autoren humorvoll auf häufige Fehler aufmerksam gemacht hat, um dem Lektorat unnötige Arbeit und damit dem Verlag Kosten zu sparen. Daraus entstand die Zwiebelfisch-Kolumne. Die Geldmacherei begann erst mit dem „Happy Aua“-Kram.
„Ihm zu unterstellen, dass er persönlich eine Fehde mit denjenigen austrägt, die “falsche” Zeitformen benutzen, ist Unfug. Er verdient damit sein Brot, auf andere mit dem Finger zu zeigen und zu sagen, ihr macht das “falsch” — “
…wie jeder Deutschlehrer und jeder Vorgesetzte, der mit der Duden-Keule kommt.
„so wie Gabi, die Klaus im Kindergarten damit aufzieht, dass er die Schere “falsch” hält. Implizit wird dabei immer mitgemeint, dass es andere gibt, zu denen man sich selbst zählt, die es vermeintlich “richtig” machen.“
Das war noch mal n richtig guter Gäg zum Ende, denn Ihr Geistesbruder Stefanowitsch hat vor nicht allzu langer Zeit im TV noch gesagt, wer nicht weiß, wo und wann er wie mit Messer und Gabel zu essen hat (sprich welches sprachliche Register er zu ziehen hat), ist selber Schuld, wenn er dadurch Probleme kriegt.
So, Schluss mit der Polemik. 😦
11. April 2013 um 08:14
Würde ich auch sagen. Lassen wir es damit auf sich beruhen – Sie sind der Meinung, dass Bastian Sick Gutes tut, ich bin der Meinung, dass er (in diesem Fall) sprachlichen Wandel ignoriert und die ‚Schulgrammatik‘ auf den Sockel stellt. Ob er witzig ist oder nicht, hat mit der Frage nichts zu tun.
9. März 2016 um 21:06
Hat dies auf Neues vom Hutschi rebloggt und kommentierte:
Ich hätte diesen Artikel eigentlich schon längst gefunden gehabt haben müssen. Er gefällt mir.