Über rassistischen Sprachgebrauch und die Schwierigkeit, ihn zu entlarven

18. August 2013

Sprachpunkt

Maria Strobel hat diesen Beitrag am 11.06.2020 auf Twitter geteilt. Für diejenigen, die den Beitrag weiter teilen und liken, um eine Rechtfertigung für den Gebrauch rassistischer Begriffe hineinlesen zu wollen, empfehle ich, das ganze Bild meiner Haltung zum Thema vorher zur Kenntnis zu nehmen.

Denn die Figur des *Negers, so wie sie bei Mbembe entworfen und auch hier verstanden wird, ist das prototypische in der europäischen Tradition konstituierte Rassen- als Ausgrenzungssubjekt. Es zu benennen, beschämt die Unterjochenden, indem bei jeder Nennung dem europäischen Imperialismus der Spiegel vorgehalten wird. Jemanden so zu benennen, ist rassistisch. »Schwarz geboren, zum *Neger gemacht« ist die Formel, auf die Jonas Hampl (2013) in der ZEIT in einem Leserbrief eben diese Praxis bringt. In dieser Differenzierung wird der Begriff hier ausschließlich gebraucht.

Der ganze Text ist hier nachzulesen.

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Dieser Artikel nennt teils rassistisch gebrauchte und meist politisch nicht korrekte und zumindest in der Sache streitbare Begriffe als Beispiele, die zudem nicht geschlechterneutral differenziert werden. Sie werden durch Asterisk markiert.

In den letzten Tagen geriet nach der Debatte um den *Negerkönig in Pippi Langstrumpf oder die Bezeichnung *Eskimos für Inuit mit *Zigeunerschnitzel ein weiterer Begriff in den Ruch, ‚rassistisch‘ zu sein. Etwas wundert mich immer öfter an Debatten dieser Art — und dem will ich hier kurz nachgehen. Es sind diese Fragen, mit denen ich mich beschäftigen werde: Eine verdeckte Kategorisierung, die die Basis für rassistischen Sprachgebrauch darstellt, Scheinargumentationen, die die sprachliche Konvention in den Mittelpunkt rücken, und in Folge ein Kurzschluss zweier Konzepte, der zur ideologischen Aufladung der Diskussion führt. Der kurze Artikel ist ein Diskussionsangebot.

Alle Begriffe diskriminieren. Verwende ich einen Begriff, sage ich etwas damit über die Welt und sage zugleich etwas anderes nicht. Sage ich Baum, sage ich Haus zugleich nicht. Aber: Ich sage andere Dinge mit — sage ich Baum, dann sind das (für unsere Breitengrade typisch): Linde, Kastanie, Eiche, Buche, Birke, Tanne, Fichte usw. Dies liegt bei Baum daran, dass er auf der Basisebene einer Kategorie liegt und damit die Basiskategorie bildet. Er vereint die meisten semantischen Merkmale seiner Kategorie (Pflanze — Baum — Linde) und unterscheidet sich maximal von anderen Basiskategorien (Haus). Ähnlich verhält es sich bei Mensch. Sage ich Mensch, sage ich nicht zugleich Haus (das ist die diskriminierende Qualität jedes Begriffs). Aber: Ich sage andere Dinge mit: Frau, Mann, Kind, *Hure, *Zigeuner, *Eskimo usw. Sind die genannten Begriffe im Gebrauch Unterbegriffe des Begriffs Mensch auf der Basisebene, dann werden sie z.T. als (auch ‚diskriminierende‘) Schimpfwörter verwendet, von denen das Deutsche noch ganz andere kennt, die ähnliches Stigmatisierungspotential aufweisen usw. In einigen Fällen sind es zugleich Begriffe, die das Andere, das Fremde bezeichnen und entweder schlicht aus Unwissenheit über die Entstehungszusammenhänge und das semantische Potential gebraucht werden und/oder so weit konventionalisiert sind, dass sie teils sogar ohne negative Wertung Verwendung finden. Beides kann man heute zwanglos, wie ich denke, unterstellen für den Begriff *Eskimo für Inuit oder *Zigeuner für Sinti und Roma. Das sagt zwar eine ganze Menge aus über die Bedingungen sprachlicher Sozialisation des Einzelnen bis hin zu gesellschaftlichen Mentalitäten, ist streng genommen aber noch nicht rassistisch.

Rassistisch und menschenverachtend wird der Gebrauch von z.B. *Zigeuner oder *Eskimo dann, wenn ein Begriff sich anschickt oder unter Verdacht gerät, auf die Basisebene aufzusteigen und zur Basis einer anderen Kategorie zu werden. Sprich: Wenn man Mensch sagt und damit zugleich *Zigeuner oder *Eskimo nicht sagt, dann „diskriminiert“ man nicht nur im doppelten Sinne, sondern legt der Begriffsverwendung eine rassistische Neukategorisierung zu Grunde, die der ursprünglichen Kategorisierung entgegenläuft. Und erst diese Promotion der Begriffe *Zigeuner oder *Eskimo zu Begriffen der Basisebene und damit die Nebenordnung zur Basiskategorie Mensch — der Kategorie, der sich der Sprecher selbst zuordnet — macht sie im Gebrauch zu rassistischen Begriffen. Das kann man sich am nationalsozialistischen Begriff Untermensch vergegenwärtigen. Dieser ist, man mag es kaum glauben, euphemistisch, denn er verschleiert diese kategoriale Neuordnung: Was die Nazis meinten, waren „Un-Mensch“ oder „Nicht-Mensch“, wenn sie den Begriff verwendeten (vielleicht erkennt man an diesem Beispiel auch, warum Gutmensch keinesfalls so harmlos ist, wie es daherkommt).

Sagt also jemand *Zigeuner, dann ist die Verwendung nicht per se als rassistisch einzustufen. Denn dafür müsste man nachweisen, dass der Gebrauch des Begriffs in diesem Zusammenhang auf der Basisebene der Begriffe diskriminiert und dem Gebrauch konzeptionell die Negierung der Einheit der menschlichen Rasse zu Grunde liegt. Das sehe ich weder beim *Negerkönig noch bei *Eskimos als leicht nachzuweisen an. Der Gebrauch ist in diesen Fällen auf jeden Fall aber politisch nicht korrekt. Das heißt aber nicht zugleich, um es noch einmal zu sagen, dass der Gebrauch damit rassistisch sei. Über die politische Korrektheit jedoch wird man sich zu unterhalten haben: Es ist nicht höflich geschweige denn freundlich, jemanden als *Zigeuner oder *Eskimo anzusprechen, wenn dieser wiederholt zu erkennen gibt, dass er sich dadurch negativ bewertet fühlt oder schlicht einfach nicht so angesprochen werden möchte — mit anderen Worten: sich geschimpft fühlt. Es zeugt von Sensibilität und Empathiefähigkeit, wenn man die Wünsche des Gegenübers berücksichtigt. Es gibt dann auch keinen Grund, weiter so zu tun, als habe man keine Kenntnis über die Bewertung des Begriffs durch den Angesprochenen oder das semantische Potential des Begriffs, wenn man wiederholt und von verschiedenen Seiten darauf hingewiesen wurde.

Das bringt uns zum zweiten Punkt, zur Konvention. Von verschiedenen Seiten wird auf die Konvention Bezug genommen und das jeweils, im Dienste von Scheinargumentationen, nicht unbedingt korrekt. Zum einen: Die Befürworter verwechseln Starre und Stabilität, wenn sie sich auf sprachliche Konventionen beziehen. Sprache und Sprachgebrauch wandeln sich, neue Verwendungsweisen werden üblich und konventionalisiert — auf alle Ewigkeit festgeschrieben ist nichts, was bspw. am Wortfeld „Frau“ leicht zu illustrieren ist: Ist Weib im Mittelhochdeutschen noch die neutrale Bezeichnung für eine Frau, sollte man so heute besser keine Frau mehr ansprechen. Ganz abgesehen davon hat es nichts mit sprachlichen Konventionen zu tun, wenn man wissentlich die Wünsche des Gegenübers ignoriert und diese Ignoranz mit der Konvention begründet. Es wird übrigens nicht dadurch besser, dass man sich selbst beschimpft und dafür Akzeptanz erwartet: Ignorant ist nämlich auch zu glauben, dass das Gegenüber es begrüßt, als *Schwarzer bezeichnet zu werden, nur weil man sich selbst einen *Weißen nennt. Wenn die Befürworter die Konvention ins Feld führen, unterstellen sie der Sprache Starrheit und nicht Stabilität, verteidigen und verharmlosen politisch nicht korrekten (bzw. schlimmstenfalls rassistischen) Sprachgebrauch und sagen zugleich (möglicherweise auch nicht bewusst) mit: Wir sind ignorant, unfreundlich und unhöflich. Von der anderen Seite wird behauptet, dass die Konvention als Argument in der Sache nicht tauge. Das ist wenigstens genau so problematisch, aber aus einem anderen Grund. Konventionalisierungsprozesse und die daraus resultierenden Konventionen sind im Sprachgebrauch das A und O — ohne stabile sprachliche Muster wäre keine Kommunikation möglich. Das gilt für Schimpfwörter und leider auch Begriffe, die rassistisch verwendet werden — einmal auf der Basisebene der Kategorisierung etabliert, erweisen sie sich oft als besonders hartnäckig, wie man gut an *Neger und seiner Begriffsgeschichte nachzeichnen kann. Mit anderen Worten: Gegen die Konvention zu argumentieren bzw. sie als Argument zurückzuweisen, ist kontraproduktiv, da Sprache eben genau so funktioniert — es ist ein Kampf gegen Windmühlen, den man hier jedes Mal wieder aufs Neue eröffnete. Und so ist es letztlich auch nicht das Ziel der Kritik, sondern die Ignoranz der Befürworter einer Begriffsverwendung.

Diese Punkte zeigen exemplarisch, dass die Diskussion ideologisch aufgeladen wird — Scheinargumentationen sind ein deutliches Anzeichen dafür ebenso wie die Verwendung von Stigmawörtern. Während die eine Seite reflexhaft das Etikett Rassist verhängt, kontert die andere Seite mit Sprachpolizei (oder dem oben schon erwähnten, sehr problematischen Gutmensch). Hier stehen sich zwei ideologische Positionen gegenüber, die einen Kampf um Begriffe und die Macht zur Begriffsbesetzung fechten. Das wird meiner Meinung nach der Sache im schlimmsten Falle nicht gerecht, geschweige denn ist es zielführend.

Zielführend wäre aus meiner Sicht, sich für etwas und nicht gegen etwas auszusprechen. Nicht dem Gegenüber Rassismus vorzuwerfen, ohne den schwierigen Nachweis dafür erbringen zu können, und sich damit wiederum den Vorwurf gefallen lassen zu müssen, dass man zwischen PC und Rassismus nicht hinreichend differenziert — was den thematischen Fokus der Debatte verschiebt. Zielführend wäre, mit gutem Beispiel voranzugehen, für mehr Akzeptanz und Offenheit, für Neues zu werben. Kurz: Aufzuklären.

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3 Kommentare - “Über rassistischen Sprachgebrauch und die Schwierigkeit, ihn zu entlarven”

  1. Martin Napierkowski Sagt:

    Hallo,

    sehr interessant und durchaus auch für mich einleuchtend. Ich habe jedoch eine kleine Frage zu dem Thema „Gutmensch“.

    Woran ist zu erkennen, dass „Gutmensch keinesfalls so harmlos ist, wie es daher kommt“?

    Dass der nationalsozialistische Gebrauch des Wortes Untermensch die Begriffe Nicht-Mensch und Un-Mensch offensiv mitschwingen ließ, lässt sich ja jeden zweiten Tag auf N24 bestaunen.
    Woran erkennt man es aber im Fall Gutmensch? Ich kenne ein paar Leute, denen man zweifellos unterstellen kann, dass sie den Begriff auf Basisebene verwenden, aber wodurch lässt sich das belegen?
    Liegt es an der häufigen Verwendung durch bestimmte Personengruppen oder ist die Intention nur für mich nicht immer ersichtlich?

    Ich würde mich über eine Antwort sehr freuen, da das Thema „was meine ich eigentlich wenn ich xy sage“ besonders in Hinblick auf „Beeinflussung durch die Medien“ sehr spannend ist :).

    MfG
    Martin Napierkowski

    Antwort

    • Alexander Lasch Sagt:

      Lieber Martin, der Begriff „Gutmensch“ diskriminiert nicht auf der Basisebene — das ist für einen Begriff, der heute als politischer Kampfbegriff verwendet wird, auch höchst unwahrscheinlich. Mir ging es zum einen um die Nähe zur NS-Terminologie, mit der gespielt wird. Betrachtet man weiter die (kurze) Begriffsgeschichte von „Gutmensch“ genauer, dann wird schnell deutlich, dass der Begriff zwar auf Julius Streicher zurückgeführt werden kann, hier konzeptuell aber etwas anderes meinte (Details dazu hier). In der aktuellen Verwendung (vgl. dazu den Artikel in der Wikipedia) wird er hauptsächlich von konservativen Vertretern (man mag dann den Bogen bis zur Rechten spannen) des politischen Tagesgeschehens verwendet, „um Andersdenkende pauschal und ohne Ansehung ihrer Argumente zu diffamieren und als naiv abzuqualifizieren.“ (Unwort des Jahres 2011)

      Herzlich

      Alexander

      Antwort

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