‚Leichte‘ Nachrichten

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Der Deutschlandfunk startet aktuell mit einem neuen Angebot in den multimedialen Dschungel — den ‚leichten‘ Nachrichten unter http://www.nachrichtenleicht.de/. Gemeint ist damit, dass diese leicht verständlich formuliert sein sollen, an inhaltlichem Gewicht büßen sie natürlich nicht ein. Die begrüßenswerte Initiative wird durch den Radiosender und eine Gruppe Studierender von der Fachhochschule Köln getragen. Vielleicht darf man sich fragen, welche Fächer an der Fachhochschule in Köln studiert werden können und ob dort Linguisten ausgebildet werden, die in besonderem Maße für Wissenstransferprozesse sensibilisiert sind. Dem ist allerdings nicht so. Nun gut, Chance vertan, sowohl von Seiten des Radiosenders als auch von Seiten der Linguistik, die sich nicht genügend und öffentlich sichtbar ins Spiel bringt.

Schauen wir uns doch den Auftritt einmal näher an – mehr als eine kurze Besprechung zweier Beispiele kann und soll an dieser Stelle aber nicht geliefert werden. Auch möchte ich das als konstruktive Kritik verstanden wissen, denn nicht immer ist sprachlich ‚leicht verständlich‘, was dem intuitiv und alltagssprachlich entspräche. Ohne die Rezeptionsforschung bemühen zu wollen, oder noch einmal auf die Transferwissenschaften zurückzukommen, betrachten wir doch einfach den Einleitungstext des neuen Angebots näher:

Alle Menschen brauchen Informationen. Wir wollen wissen, was in unserer Familie und bei den Freunden passiert. Oder bei den Nachbarn und bei der Arbeit.Darum kümmern wir uns selbst.
Aber wir müssen auch wissen, was in der Politik in Deutschland passiert oder auch in anderen Ländern. Wir sollten wissen, was in der Wirtschaft geschieht, im Sport oder in der Kultur. Dafür gibt es Nachrichten in Zeitungen, im Radio, im Fernsehen oder im Internet. Diese Nachrichten sind aber meistens kompliziert. Dann verstehen sie nicht alle. Das soll anders werden.[1]

Der Text ist durchweg klar strukturiert, wiederholt wichtige Informationen und zeichnet sich durch eine überschaubare Satzlänge aus — alles wichtige Mittel, um Verstehen zu gewährleisten und zu sichern. Allerdings sticht ein Stilmittel heraus, das es in sich hat: Da der Satz „wir wollen wissen“ nicht noch einmal wiederholt werden soll, offensichtlich, wird nach dem Satz „wir wollen wissen, ob […]“ ein elliptischer satzwertiger Ausdruck realisiert, der nicht nur ohne Verb daherkommt, sondern dem Satz „wir wollen wissen“ untergeordnet und dem Nebensatz „was in unserer Familie und bei Freunden passiert“ nebengeordnet ist. Durch die Aufspaltung — und damit visuelle Verkürzung des Satzes — wird der Leser oder Hörer aber dennoch die Leistung vollbringen müssen, den projizierenden Satz „wir wollen wissen“ aktiv zu halten. Interessanterweise wird das Muster auch in anderen Meldungen bedient:

Im November 2012 wurde Barack Obama noch einmal zum Präsidenten der USA gewählt. Sein Gegner war Mitt Romney. Im Wahlkampf stritten die beiden über viele Themen. Zum Beispiel über die Kranken-Versicherung für alle und über mehr Arbeitsplätze.[2]

Die Motivation ist hier freilich eine andere, im markierten Beispiel öffnet keine Projektorphrase eine offene Stelle, sondern der satzwertige Ausdruck wird deshalb ohne Verb realisiert, weil dafür die (stilistisch unschöne) Wiederholung des Verbs „streiten“ notwendig sein könnte. Auch geht die Verknappung des Ausdrucks hier sehr deutlich auf Kosten der Verständlichkeit: Sie stritten „über mehr Arbeitsplätze“ ist zwar einfach, da knapp, aber deshalb nicht einfach zu verstehen, da falsch. Schaut man genauer hin, bietet die Seite selbst auch keinen Anhaltspunkt zur Frage, was als ‚einfache‘ Sprache gelten solle. Was überhaupt ist ‚einfache‘ Sprache? Zu diesem Problem äußern sich die Betreuer der Facebook-Präsenz des Funkhauses:

Das haben wr [sic!; sc. Leserkommentar: Es gäbe doch bereits Nachrichten für Kinder] anfangs auch gedacht. Aber erstens geht es zum Teil um andere Themen. Zweitens ist die sogenannte Leichte Sprache keine Kindersprache und auch nicht die Sprache eines Erklärbären. Es gilt hier, andere Dinge zu beachten, die Länge der Sätze und vieles mehr. Einfach mal googeln! [3]

Gerade weil die „Länge der Sätze“ als bedeutendes Kriterium für die Verständlichkeit gilt, sei noch einmal betont, dass die Komplexität von Sätzen nicht von der Menge der Wörter zwischen Interpunktionszeichen abhängig ist. Auf der Oberfläche mag man durch die Setzung von Interpunktionszeichen zwar den Eindruck erwecken, dass die einzelnen Sätze überschaubar sind, faktisch jedoch erreichen sie bisweilen gerade in solchen elliptischen Konstruktionen einen recht hohen Komplexitätsgrad. Andere Fragen, die damit verbunden sind, wie bspw. nach dem Status der Texte im Spannungsfeld zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit (‚Wird hier der Duktus gesprochener Sprache nachgeahmt?‘), sind davon noch nicht berührt.

Doch abgesehen von solchen Kleinigkeiten ist der Auftritt zu begrüßen und zu fördern, konstruktive Kritik ist sinnvoll und gewünscht — beteiligen Sie sich, schicken Sie Ihre Vorschläge an die Redaktion! Ein Schrecken ist nämlich, wie auf das Angebot teilweise eingedroschen wird. Kommentare auf der Facebook-Seite des Senders wie „Deutschlandfunk für Deppen?“[4] oder „Und Sie glauben, damit die vom RTL-Prekariats-TV geschädigten Menschen zu resozialisieren? Ich halte eine Anpassung des Niveaus nach unten für einen fatalen Weg!“[5] zeugen von einer fatalen Fehleinschätzung der gesellschaftlichen Zustände, in denen mehr Menschen Probleme mit den Kulturtechniken des Lesens und Schreiben haben und deshalb am gesellschaftlichen Leben nicht partizipieren können, als man gemeinhin vermuten würde.

Hilfe statt Häme wäre die Devise.

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Was ist ‚leichte‘ Sprache?

Angebote in ‚leichter‘ Sprache:

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8 Kommentare - “‚Leichte‘ Nachrichten”

  1. Johannes Sagt:

    Ein begrüßenswertes Projekt. Neben der reinen Informationsbereitstellung bestimmt auch eine gute Möglichkeit, Deutsch (als Fremdsprache) zu lernen. Etwas Ähnliches gibt es z.B. auf norwegisch unter klartale.no – sogar mit eingebauter „Vorlesefunktion“.

    Antwort

    • Alexander Lasch Sagt:

      Vielen Dank für den Hinweis! Auch bei den ‚leichten Nachrichten‘ setzt man auf alle Kanäle: Neben den Texten werden diese als Audiofile hinterlegt und durch besonders deutliche Ikone, Grafiken und Abbildungen visuell unterstützt. Für Ausbildungszusammenhänge in DaF und DaZ baut eine dritte Stelle hier also Unterrichtsmaterial auf, das es in sich hat 🙂

      Antwort

  2. mazbln Sagt:

    „Doch abgesehen von solchen Kleinigkeiten ist der Auftritt positiv zu begrüßen.“ Da frage ich mich, ob es auch ein „negativ zu begrüßen“ gibt. (Wenn es hier schon um Sprache geht…)

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  1. Blogspektrogramm 1/2013 – Sprachlog - 6. Januar 2013

    […] Lasch kritisiert auf SPRACHPUNKT die hämische Kritik an den LEICHTEN NACHRICHTEN, einem Projekt des […]

  2. DaF-Blog » Nachrichten leicht - 6. Januar 2013

    […] mit dem Thema leichte Sprache und der Umsetzung bei Nachrichten leicht findet ihr bei Alexander Lasch. Aber am besten schaut ihr euch die Webseite selber einmal […]

  3. Nachrichten in einfacher Sprache - reticon.de - 4. April 2013

    […] Der Linguist Alexander Lasch hatte schon Anfang Januar einen ausführlichen Artikel zu den leichten … […]

  4. ‘Leichte Sprache’ — 10 Gestaltungshinweise | Sprachpunkt - 11. April 2013

    […] Sprache’ beginnen satzinitial nicht mit Junktionen wie und / oder / denn und weil. Damit weist man auf dieses Problem dezidiert hin. Ein ebenfalls komplexes Satzgefüge liegt mit dem Beispiel von den ‘leichten […]

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