Über das Deutsche als „Feierabenddialekt“ im „sprachlich gleichgeschalteten Europa“

24. Juni 2013

Sprachpunkt

Gauck forderte in einer Grundsatzrede am 22. Februar 2013, sich doch klar zu machen, dass es mit einem „Englisch für alle Lebenslagen“ in Europa nun einmal am leichtesten sei — ein Votum für eine europäische Verkehrssprache vom deutschen Bundespräsidenten. Das brachte, natürlich, den „Verein Deutsche Sprache“ auf die Palme. Und zwar so hoch, dass er auf der „Bundesdelegiertenkonferenz am 16. Juni in Rudolstadt [im schönen Thüringen nicht nur] mit Nachdruck widersprochen“ hat, sondern gleich die Gelegenheit beim Schopf packte und die „Rudolstädter Erklärung“ aufsetzte. Auf der Website des VDS wird deren Inhalt angekündigt:

In einem offenen Brief fordern sie Gauck dazu auf, die deutsche Sprache als unverzichtbares Mittel der allgemeinen Verständigung anzuerkennen und ihre wichtige Rolle bei der Gestaltung einer europäischen Öffentlichkeit nicht leichtfertig zu verspielen. Der Erfolg Europas sei untrennbar mit dessen kultureller und sprachlicher Vielfalt verknüpft. Eine alleinige Verkehrssprache Englisch im öffentlichen Raum gefährde dieses Projekt, stifte Unfrieden und drücke nebenbei die deutsche Sprache auf das Niveau eines Feierabenddialekts herab. „Wir wollen Vielfalt statt Einfalt“, bekräftigte der VDS-Vorsitzende Professor Walter Krämer. „Mit seiner Forderung nach Englisch als verbindlicher Verkehrssprache ist Gauck kein Förderer, sondern möglicherweise sogar ein unabsichtlicher Totengräber der europäischen Idee“.

Um gleich eines vorwegzuschicken: Wie immer redet Krämer von anderen Dingen als sein Gesprächspartner. Gauck hat ein Europa im Blick, in dem eine Verkehrssprache Kommunikation erleichtert; Krämer hingegen eine Sprache als Kultursprache, die, wie jeder weiß, kulturelle und nationale Identität stiftet. Gauck spricht von einem Europa, in dem sich Europäer verständigen können, Krämer von einem Europa, in dem diktatorisch „von denen da oben“ gar noch „aus Brüssel“ eine Einheitssprache durchgesetzt werde, die das Deutsche zur Minoritätensprache macht: Aus der Öffentlichkeit vertrieben, vollkommen zu Unrecht geschmäht. Ein „Feierabenddialekt“ wäre sie dann, was sachlich falsch ist. Eine „regionale Feierabendvarietät“, bitteschön. Wie unsinnig das vom VDS Vorgetragene ist, der Gauck zum „Totengräber der europäischen Idee“ erklärt, mag man sich an einem recht einschlägigen Beispiel unserer christlich-abendländischen Kultur zum Phänomen der „Verkehrssprache“ vergegenwärtigen:

Lucas Van Valckenborch. 1594. Turm von Babel // http://goo.gl/uxawu. Text der Einheitsübersetzung // http://goo.gl/2F3u7.

Lucas Van Valckenborch. 1594. Turm von Babel // http://goo.gl/uxawu. Text der Einheitsübersetzung // http://goo.gl/2F3u7.

Wirft man dazu noch einen Blick auf die Rede Gaucks, dann wird schnell klar, dass nicht nur das Argument gegen alle Logik und Vernunft läuft, sondern man — wie immer — die wichtigere Hälfte des Gesagten nicht zur Kenntnis genommen hat. Gauck spielt nämlich sehr wohl nicht europäische Verkehrssprache (die ‚lingua franca‘) und die eigene Muttersprache gegeneinander aus:

Ein Deutscher, der nicht auch Englisch oder Französisch spricht, wird sich kaum mit einem Portugiesen verständigen können, ebenso wenig mit einem Litauer oder Ungarn. Es stimmt ja: Die junge Generation wächst ohnehin mit Englisch als Lingua franca auf. Ich finde aber, wir sollten die sprachliche Integration nicht einfach dem Lauf der Dinge überlassen. Mehr Europa heißt nämlich nicht nur Mehrsprachigkeit für die Eliten, sondern Mehrsprachigkeit für immer größere Bevölkerungsgruppen, für immer mehr Menschen, schließlich für alle! Ich bin überzeugt, dass in Europa beides nebeneinander leben kann: die Beheimatung in der eigenen Muttersprache und in ihrer Poesie und ein praktikables Englisch für alle Lebenslagen und Lebensalter.

Abgesehen von diesem Geplänkel, das ja auch irgendwie recht amüsant ist, hört der Spaß bei einem Blick auf die „Rudolstädter Erklärung“ aber auf. Hier heißt es wortwörtlich:

Wer ein wie auch immer geartetes Englisch dem öffentlichen Raum als verbindliche Sprache aufnötigt und damit die Vielfalt der Einzelsprachen in den privaten Raum verdrängen will, löst Unmut, Unzufriedenheit, letztlich Widerstand, Europamüdigkeit und Unfrieden aus.  Ein sprachlich gleichgeschaltetes Europa lehnen wir deshalb ab.

Der VDS stellt Europa und seine Institutionen und den Bundespräsidenten dieser Republik auf eine Stufe mit den Nationalsozialisten, die demokratische Grundrechte wie die Pressefreiheit durch „Gleichschaltung“ der Medien beschnitten. Man mag ja „Dialekt“ und „Varietät“ aus Unkenntnis verwechseln oder die Funktion einer Verkehrssprache verkennen. Wer auch immer zur „Bundesdelegiertenkonferenz“ des VDS gehört und eine solche „Erklärung“ ohne Widerstand durchgewunken hat, versteht weder etwas von Sprache, noch von Kultur, noch von Nation oder Europa oder will es nicht verstehen. Schlimmer: Wer sich eines solchen Vergleiches bedient, ist entweder dumm oder gefährlich. Noch schlimmer wäre nur, wenn beides gleichermaßen zuträfe. Und das wiederum ist schade für Rudolstadt und die Rudolstädter_innen, die für solchen Unfug ihren guten Namen hergeben müssen.

24 Kommentare - “Über das Deutsche als „Feierabenddialekt“ im „sprachlich gleichgeschalteten Europa“”

  1. Lexikographieblog Sagt:

    Jawoll, „regionale Feierabendvarietät“ ist ja wohl wirklich nicht zu viel verlangt! 🙂

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    • Alexander Lasch Sagt:

      Wenn schon, denn schon! 😉

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      • re2tko2vski Sagt:

        Mal ne Frage von Terminologe zu Sprachwissenschaftler:

        Was ist der Unterschied zw. Dialekt und regionaler Varietät?

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        • Alexander Lasch Sagt:

          Der Dialekt (umgangssprachl. auch Mundart) ist eine regionale Varietät (Oberbegriff). Das, was der VDS im Blick hat, ist allerdings das Standarddeutsche (dies überdacht heute die Dialekte), das sich als regionale Varietät ggü. anderen nationalen Varietäten (und deren Sprachräumen) abgrenzen lässt. Man kann die Differenzierung auch historisch begründen und den Dialekt-Begriff nur auf die regionalen Varietäten beziehen, die aus germanischen Stammessprachen hervorgegangen sind. Das Obersächsische wäre dann in dieser engen Bestimmung kein Dialekt, sondern eine Ausgleichsvarietät. Mir sagt letztere Eingrenzung, um ehrlich zu sein, am meisten zu.

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  2. Muriel Sagt:

    Ich stehe damit ja mutmaßlich eher auf Seiten der Minderheit, aber wäre es nicht ein Traum, wenn alle Menschen eine Sprache sprächen und diese ganze blödsinnige vielgerühmte Vielfalt möglichst bald verschwände?

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    • Alexander Lasch Sagt:

      Ich würde da nicht von Minderheit sprechen. Historisch ist es in vielen parallelen Fällen so, dass eine Spracheinheit mit einer gesellschaftlichen und kulturellen Einheit einhergeht. Zu dieser Einheit gehört auch akzeptierte Vielfalt gleichermaßen. D.h.: Es kann jeder reden, wie er will, soll sich dann aber auch nicht über die kommunikative Reichweite seines Idioms beschweren. Nicht ganz ernst gemeint: Als Lehrstück möge „Das Leben des Brian“ herhalten. Der Untergrund muss sich der lateinischen Sprache bedienen, um gehört zu werden usf. Eine Lösung ist nur der Universaltranslator, den man uns in Star Trek verspricht – der kommt hoffentlich bald und wenn ich tippen müsste, wer ihn technisch realisiert, würde ich sagen: Apple, 2018.

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      • Muriel Sagt:

        Wärst du da offen für eine Wette?
        Ich würde nämlich einen mittleren bis hohen Einsatz wagen darauf, dass es weder Apple macht (garantiert), noch irgendwer vor dem Jahr 2020 (etwas mehr Unsicherheit).
        Wobei man natürlich festlegen müsste, was man drunter versteht. Übersetzungssoftware gibt es ja jetzt schon.

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        • Alexander Lasch Sagt:

          Du musst wissen, ich wette nur um ideelle Einsätze 😉 Aber ich wäre bereit, ein Loblied auf Dich hier im Blog zu singen, wenn Du richtig liegst. Bei Apple bin ich mir nicht mal sicher, 2020 halte ich aber für zu spät. Google hat ebenfalls gute Karten (Google Glass) und Microsoft ist bestimmt schon durch mit den technischen Routinen und der Cloud-Einbindung (Kinect & Kinect2), weiß aber wie immer nicht, was man mit der Technologie anstellen soll.

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          • Muriel Sagt:

            Ideelle Einsätze sind ja oft die höchsten.
            Das Hauptproblem dürfte aus meiner Sicht wie gesagt sein, zu bestimmen, was nun wirklich ein Universaltranslator sein soll. Ich würde mir davon schon erwarten, dass man eine mündliche oder meinetwegen noch echtzeitschriftliche Unterhaltung ohne nennenswerte Schwierigkeiten führen kann, ohne sich blödsinnige Übersetzungsfehler nachdolmetschen zu müssen. Wie in Star Trek halt, wobei ich bereit wäre, auf das Feature zu verzichten, dass ich meinen Gesprächspartner in seiner Originalstimme mit der Originalbetonung höre.

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            • Alexander Lasch Sagt:

              So habe ich das auch verstanden – eine 1:1-Übersetzung (weitestgehend synchron, Inputdelay und Übersetzung satzwertiger Ausdrücke // teilspezifierter Idiome) am besten in einem mobilen Endgerät. Gilt? Was, wenn ich gewinne?

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              • Muriel Sagt:

                Da dein Teil der Wette der riskantere ist (Ein bestimmtes Unternehmen bringt etwas bis zu einem bestimmten Datum auf den Markt.), sollte mein Einsatz wohl auch etwas höher sein.
                Vorschlag: Wenn tatsächlich Apple bis 2018 sowas macht (selbst entwickelt. Nicht kauft und auf ihre Endgeräte pappt.) dann schreibe ich eine Woche lang jeden Tag einen Post darüber, warum ich dich und dein Blog für das beste halte, was der Welt seit dem Gameboy passiert ist. Wenn es nicht Apple ist, sondern jemand anders, schreibe ich einen einzigen solchen Post. Und wenn es Apple nach 2018 macht, baue dich als Charakter in meinen dann gerade aktuellen Fortsetzungsroman ein. (Ob du persönlich das als Gewinn empfindest oder nicht, ist dabei für mich nachrangig, aber ich stelle dich als Figur natürlich positiv dar, und du bekommst vor der Veröffentlichung ein Veotrecht.). Sollten die Fortsetzungsromane bis dahin gestorben sein, gibt es zumindest eine Kurzgeschichte.
                In Ordnung so?

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                • Alexander Lasch Sagt:

                  Eine Erwähnung, warum das hier besser als der graue Kasten mit grünem LC-Display sein soll, reicht mir vollkommen 🙂 Deal!

                • Muriel Sagt:

                  Neenee, ganz oder gar nicht. Und Mario Land macht sogar heute noch mehr Spaß als The Last of Us.

                • Alexander Lasch Sagt:

                  Das geht jetzt Mal in eine Richtung, die wir gern im Nebenzimmer weiter verfolgen 😉 Hashtag-Vorschlag für den Stand der Wette: #translator2018 (muss Dich über Twitter noch adden).

                • Muriel Sagt:

                  Ich fürchte, ich nutze Twitter nur, wenn ich es gar nicht vermeiden kann, aber wir werden sicher eine Möglichkeit finden, einander zu benachrichtigen, wenn es soweit ist.

                • Alexander Lasch Sagt:

                  In Ordnung, der Einschlag dürfte ja nicht zu überhören sein 😉

    • re2tko2vski Sagt:

      Nicht doch! Dann würden ja alle Sprachwissenschaftler arbeitslos!

      Obwohl… so manchen würd‘ ich das gönnen!

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  3. janwo Sagt:

    Schlimm genug, dass sogar habilitierte Sprachwissenschaftler sich nicht zu schade sind, diesen Zerebraldurchfall des Herrn K. zu unterstützen.

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    • Alexander Lasch Sagt:

      Schade finde ich eher, dass das Fach diesbezüglich öffentlich nicht sichtbar ist. Das hat drei Gründe: Zum einen (1) besteht darüber Einigkeit, was für ein Unfug über Sprache und deren Entwicklung mancherorts behauptet wird – allerdings reicht dieser Konsens nur bis zu Eingangstüren von Tagungsräumen oder zum Einband einer Fachzeitschrift. Man nimmt (2) das Internet für Diskussionen im öffentlichen Raum in seiner Relevanz immer noch nicht ernst (genug) bzw. man nimmt die öffentliche Diskussion nicht ernst (genug). Damit kommen wir zum letzten Punkt (3). Reputation kann man im Fach durch öffentliche Diskussionen und Beiträge wie hier in einem Blog nicht verdienen – das hängt mit Punkt (2) unmittelbar zusammen und hält viele davon ab, die öfdentliche Diskussion zu suchen, was meiner Meinung nach sehr schade ist.

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  4. re2tko2vski Sagt:

    „Das (Standard-)Deutsche ist eine Varietät und kein Dialekt.“

    Der VDS behauptet NICHT, dass das Standarddeutsche ein Dialekt sei, sondern äußert Sorge, dass es auf den GESELLSCHAFTLICHEN STATUS eines Feierabenddialektes herabsinken könnte.

    Es handelt sich um eine überspitzte Formulierung, bei der es völlig unerheblich ist, ob nach sprachwissenschaftlicher Terminologie das Standarddeutsche jemals als Dialekt des Englischen bezeichnet werden könnte oder nicht.

    Bevor das hier unendlich weitergeht:

    Sie versuchen, auf Teufel-komm-raus Haare in der Suppe der Wortwahl des VDS zu finden. Dabei haben Sie doch schon eine dicke Borste herausgefischt mit „gleichgeschaltet“. Warum versuchen Sie jetzt noch, einen Fehler zu konstruieren, wo keiner ist?

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